Der Bundesrat musste am 19.9. zum Tarifeingriff Stellung nehmen und Fragen zur laufenden Vernehmlassung beantworten. Sieben ParlamentarierInnen von der SP bis zur SVP haben Fragen eingereicht:
Franziska Roth, SP
Der Bundesrat und die Verbände der Krankenversicherer kritisieren die Brutto-Kostenentwicklung der Physiotherapie. Der Bundesrat schlägt vor, die Tarifstruktur anzupassen, um Kosten zu sparen. Ist sich der Bundesrat bewusst, dass
die Saläre der PhysiotherapeutInnen seit Jahren sinken?
ein höheres Salär nur mit einer Mengenausweitung zu erzielen ist, die im Anordnungsmodell nicht möglich ist?
die Berufsausstiege ähnlich hoch ausfallen wie in der Pflege?
Antwort des Bundesrates vom 18.9.2023: Zielsetzung des bundesrätlichen Vorschlages zur Anpassung der Tarifstruktur für physiotherapeutische Leistungen ist in erster Linie die Verbesserung der Transparenz gegenüber den Versicherten und allen Akteuren sowie die Gewährleistung der Qualität der Behandlungen. Die aktuell gültige Tarifstruktur ist rund um Sitzungspauschalen ohne Angaben der Sitzungsdauer aufgebaut. Aus diesem Grund hat der Bundesrat am 16. August 2023 zwei Varianten zur Einführung einer Zeitkomponente in der Tarifstruktur in die Vernehmlassung gegeben. An der Abgeltung ändert der Bundesrat nichts. Vielmehr soll verhindert werden, dass die Mengenausweitung durch eine Verkürzung der Sitzungsdauer ausgelöst wird. Mit einer weiteren Anpassung soll zudem sichergestellt werden, dass nur diejenigen Leistungen als «aufwändige Physiotherapie» abgerechnet werden, welche diese Voraussetzungen auch tatsächlich erfüllen.
Die regelmässige Pflege der Tarife in der Krankenversicherung obliegt aber den Tarifpartnern. Somit liegt es in deren Verantwortung, eine Gesamtrevision der Tarifstruktur und deren Anpassung an aktuelle Gegebenheiten vorzunehmen. Der Bundesrat und mit ihm das BAG fordern die Tarifpartner der Physiotherapie seit Jahren mit Nachdruck dazu auf. Bislang konnten diese keine genehmigungsfähige Lösung vorlegen.
Bei den Physiotherapeuten und Physiotherapeutinnen ist die Zahl der Berufsausstiege nicht so hoch wie in der Pflege. Ein Bericht des Obsan von 2021 zeigt, dass zwischen 2016 und 2018 die Berufsaustrittsquote bei den Pflegefachpersonen auf Sekundarstufe II bei 41.7% und auf Tertiärstufe bei 42.5% lag, während die Berufsaustrittsquote bei den Physiotherapeuten und Physiotherapeutinnen bei 27.1% lag. Der Bundesrat wird die entsprechende Entwicklung genau beobachten. Zu berücksichtigen ist demgegenüber auch, dass gemäss santésuisse die Anzahl der für die Krankenversicherung tätigen Physiotherapeuten und Physiotherapeutinnen in den letzten 10 Jahren zudem im Vergleich zu allen Leistungserbringern überdurchschnittlich anstieg.
Lars Guggisberg, SVP
Der Bundesrat schlägt in einer Vernehmlassung eine Anpassung der Tarifstruktur der Physiotherapie vor. Viele Praxisinhaber befürchten, dass sie ihre Praxis schliessen müssen, weil sie die laufenden Kosten nicht mehr decken können.
Hat der Bundesrat die Folgen des Eingriffs vorgängig geprüft?
Müssen Schliessungen von Physiotherapiepraxen, die alle KMU sind, befürchtet werden?
Kann sichergestellt werden, dass sich die dezentrale Versorgung im ländlichen Raum durch den Eingriff nicht verschlechtert?
Antwort des Bundesrates vom 18.9.2023: Mit der vorgeschlagenen Anpassung der Tarifstruktur ändert der Bundesrat nichts an der aktuellen Abgeltung für physiotherapeutische Leistungen und somit auch nichts an der Kostendeckung. Daher geht der Bundesrat davon aus, dass sich auch keine Änderungen für die Versorgung mit physiotherapeutischen Leistungen ergeben. Der Bundesrat beschränkt die Anpassungen von Tarifstrukturen im Rahmen seiner subsidiären Kompetenz stets auf den dringendsten Anpassungsbedarf. Im Falle der Tarifstruktur für physiotherapeutische Leistungen ist dies die in den Sitzungspauschalen fehlende Zeitkomponente. Darüber sind sich auch die Tarifpartner der Physiotherapie einig. Ziel des Vorschlags ist in erster Linie die Verbesserung der Transparenz gegenüber den Versicherten und allen Akteuren sowie die Sicherstellung der Gleichbehandlung der Versicherten und der Qualität der Behandlung.
Vor diesem Hintergrund kann der Bundesrat die erwähnte Befürchtung von Physiotherapie-Praxisinhabern nicht nachvollziehen. Gemäss der aktuell gültigen Tarifstruktur soll eine allgemein Physiotherapie-Sitzung im Durchschnitt rund 30 Minuten dauern. Am Umsatz einer Praxis würde der Vorschlag des Bundesrates nur dann etwas ändern, wenn die Sitzungen im Durchschnitt aktuell deutlich weniger als 30 Minuten dauern, trotzdem aber immer die Pauschale für die allgemeine Physiotherapie abgerechnet wird. Dies stellt aber nicht ein Problem des Tarifs respektive der vorgeschlagenen Anpassungen, sondern der Abrechnungspraxis der Physiotherapeuten dar.
Kathrin Bertschy, Grünliberale
Der Bundesrat hat am 16. August 2023 in einer Vernehmlassung vorgeschlagen, die Tarifstruktur der Physiotherapie zu überarbeiten. Die Stundenumsätze liegen aktuell bei 60 Franken. Ist dem Bundesrat bewusst, dass es mit den geltenden Tarifen kaum möglich ist, seinen Lebensunterhalt zu verdienen? Wie hoch sind die Tarife vergleichbarer medizinischer Leistungen (Ergotherapie, Psychologie)?
Wann gab es die letzte Tariferhöhung?
Wie hoch war diese?
Gibt es Bestrebungen, die Teuerung auszugleichen?
Antwort des Bundesrates vom 18.9.2023: Zielsetzung des bundesrätlichen Vorschlages zur Anpassung der Tarifstruktur für physiotherapeutische Leistungen ist in erster Linie die Verbesserung der Transparenz gegenüber den Versicherten und allen Akteuren sowie die Gewährleistung der Gleichbehandlung der Versicherten und der Qualität der Behandlungen.
Letztmals wurden die Taxpunkte in den Jahren 2014 resp. 2016 um 8 Rappen erhöht. Die regelmässige Pflege der Tarife in der Krankenversicherung obliegt den Tarifpartnern. Somit liegt es in deren Verantwortung, eine Gesamtrevision der Tarifstruktur und deren regelmässige Anpassung an aktuelle Gegebenheiten (z.B. Teuerung) vorzunehmen. Der Bundesrat und mit ihm das Bundesamt für Gesundheit fordern die Tarifpartner der Physiotherapie seit Jahren mit Nachdruck dazu auf. Bislang konnten diese keine genehmigungsfähige Lösung vorlegen.
In der aktuell gültigen Tarifstruktur für physiotherapeutische Leistungen wird eine allgemeine Physiotherapie-Sitzung mit 48 Taxpunkten abgegolten. Im Durchschnitt soll eine allgemeine Physiotherapie-Sitzung rund 30 Minuten dauern. Bei einem Taxpunktwert von CHF 0.94 resp. CHF 1.11 (tiefster resp. höchster Taxpunktwert gemäss Liste von Physioswiss) ergibt dies einen Stundenumsatz von CHF 90.24 resp. CHF 106.56. Die Höhe der Vergütung hängt somit auch von den kantonalen respektive regionalen Taxpunktwerten ab. Diese können nicht durch den Bundesrat festgelegt werden, sondern sind durch die Tarifpartner zu vereinbaren.
Sarah Wyss, SP
Der Bundesrat legt eine Vernehmlassung eines Eingriffs in die Tarifstruktur der Physiotherapie vor, die «minimal» sei. Gemäss den Erläuterungen reicht die Datengrundlage nicht aus für eine umfangreiche Überprüfung der Tarifstruktur oder eine Neugestaltung des Kostenmodels
Weshalb greift der Bundesrat in die Tarifstruktur trotz unvollständiger Datengrundlage? Welche Rolle spielten dabei die Krankenkassen?
Welche Folgen des Eingriffs gibt es auf die Versorgung an Physiotherapie?
Antwort des Bundesrates vom 18.9.2023: Der Bundesrat beschränkt die Anpassungen von Tarifstrukturen im Rahmen seiner subsidiären Kompetenz stets auf den dringendsten Anpassungsbedarf. Im Falle der Tarifstruktur für physiotherapeutische Leistungen ist dies die in den Sitzungspauschalen fehlende Zeitkomponente. Darüber sind sich auch die Tarifpartner der Physiotherapie einig. Aus diesem Grund hat der Bundesrat am 16. August 2023 zwei Varianten zur Einführung einer Zeitkomponente in der Tarifstruktur in die Vernehmlassung gegeben. Bei der Erarbeitung der beiden Varianten wurden Inputs von allen Tarifpartnern berücksichtigt. Ziel dieses Vorschlags ist in erster Linie die Verbesserung der Transparenz gegenüber den Versicherten und allen Akteuren sowie die Sicherstellung der Gleichbehandlung der Versicherten und der Qualität der Behandlung. Am Kostenmodell und damit an der aktuellen Abgeltung für physiotherapeutische Leistungen ändert der Bundesrat nichts. Somit geht der Bundesrat davon aus, dass sich auch keine Änderungen für die Versorgung mit physiotherapeutischen Leistungen ergeben.
Die regelmässige Pflege der Tarife in der Krankenversicherung obliegt den Tarifpartnern. Eine ausreichende Datengrundlage (Leistungs- und Kostendaten) vorzulegen, ist in erster Linie eine Aufgabe der Leistungserbringer. Dass die Leistungsdaten erst kürzlich vorgestellt wurden, jedoch weiterhin keine Kostendaten vorliegen, dürfte mit ein Grund dafür sein, dass sich die Tarifpartner bis jetzt nicht auf eine Tarifrevision einigen konnten. Der Bundesrat und mit ihm das Bundesamt für Gesundheit fordern die Tarifpartner der Physiotherapie (Physioswiss, ASPI und H+, curafutura und santésuisse) seit Jahren mit Nachdruck dazu auf, eine Gesamtrevision der Tarifstruktur und deren Anpassung an die aktuellen Gegebenheiten vorzunehmen.
Stefan Müller-Altermatt, die Mitte
Am 16. August 2023 hat der Bundesrat eine Vernehmlassung zur Revision der Tarifstruktur der Physiotherapie eröffnet. Grund der Revision ist die Entwicklung der Kosten in der Grundversicherung.
Zu welchen Mehrkosten führt die Umsetzung von ambulant zu stationär im ambulanten Sektor der Physiotherapie?
Welche Einsparungen bringen frühere Spitalaustritte im stationären Sektor?
Führen diese zu einer Senkung des DRG?
Antwort des Bundesrates vom 18.9.2023: Zielsetzung des bundesrätlichen Vorschlages zur Anpassung der Tarifstruktur für physiotherapeutische Leistungen ist in erster Linie die Verbesserung der Transparenz gegenüber den Versicherten und allen Akteuren sowie die Gewährleistung der Qualität der Behandlungen. Die aktuell gültige Tarifstruktur ist rund um Sitzungspauschalen ohne Angaben der Sitzungsdauer aufgebaut. Aus diesem Grund hat der Bundesrat am 16. August 2023 zwei Varianten zur Einführung einer Zeitkomponente in der Tarifstruktur in die Vernehmlassung gegeben. An der Abgeltung für physiotherapeutische Leistungen ändert der Bundesrat nichts.
Ein Grund für die Kostenentwicklung ist der Anstieg der Anzahl an Physiotherapie-Konsultationen. Die Verschiebung von stationären Leistungen in den ambulanten Bereich könnte eine Ursache dafür sein. Um diese genauer zu untersuchen, müsste eine Datenerhebung durchgeführt werden. Der Anstieg der Physiotherapie-Konsultationen kann aber auch durch eine Verkürzung der Sitzungsdauer begründet sein, was für die Qualität der Leistungen problematisch sein könnte.
Sofern die ambulant erbrachten Physiotherapie-Konsultationen Leistungen ersetzen, welche bisher im stationären Setting erbracht wurden, können sich diese Einsparungen bei der Berechnung der relativen Kostengewichte der Tarifstruktur SwissDRG auswirken.
Maja Riniker, FDP
Der Bundesrat schreibt am 16. August 2023, die Bruttokosten der Physiotherapie pro versicherte Person in der Grundversicherung seien überdurchschnittlich gestiegen. Meine Fragen:
Kennt der Bundesrat die Gründe für den Anstieg?
Wurden mehr Personen behandelt, weil (a) die Zahl der Versicherten zugenommen hat, (b) der Grundsatz „ambulant vor stationär“ konsequent umgesetzt wird oder (c) Spitalaustritte früher erfolgen?
Wurden mehr Leistungen pro versicherte Person erbracht?
Antwort des Bundesrates vom 18.9.2023:
Die aktuell gültige Tarifstruktur für physiotherapeutische Leistungen ist rund um Sitzungspauschalen aufgebaut ohne Angaben der Sitzungsdauer. 2021 machten die beiden Pauschalen für allgemeine respektive aufwändige Physiotherapie-Sitzungen mehr als 90% des gesamten abgerechneten Leistungsvolumens in der ambulanten Physiotherapie aus.
Ein Grund für den Kostenanstieg ist die Verschiebung von Volumen hin zur höheren Pauschale für die aufwändige Physiotherapie. Zwischen 2018 und 2021 stieg das Volumen der aufwändigen Physiotherapie jährlich um 20.8%, gegenüber einem Plus von 6.4% bei der allgemeinen Physiotherapie.
Ein weiterer Grund für die Kostenentwicklung ist der Anstieg der Anzahl an Physiotherapie-Konsultationen. Es ist denkbar, dass die Verschiebung von stationären Leistungen in den ambulanten Bereich eine Ursache dafür ist. Um diese genauer zu untersuchen, müsste eine Datenerhebung durchgeführt werden. Ein Teil des Anstiegs der Physiotherapie-Konsultationen kann aber auch durch eine Verkürzung der Sitzungsdauer begründet sein, was für die Qualität der Leistungen problematisch wäre. Um die Transparenz gegenüber den Versicherten und allen Akteuren zu erhöhen und damit die Gleichbehandlung der Versicherten sowie die Qualität der Behandlungen zu gewährleisten, hat der Bundesrat am 16. August 2023 zwei Varianten zur Einführung einer Zeitkomponente in der Tarifstruktur in die Vernehmlassung gegeben.
Marc Jost, EVP
Physioswiss hat im 2023 die Leistungsdaten publiziert, welche von Ecoplan/FHNW erhoben wurden. Die Autoren kommen zum Schluss, dass die Produktivität noch bei 60 Prozent liegt. Sie liegt damit weit unter der Berechnungsgrundlage der aktuellen Tarifstruktur.
Hat der Bundesrat vor dem Start der Vernehmlassung die Leistungsdaten von Physioswiss konsultiert?
Falls Nein, weshalb nicht?
Antwort des Bundesrates vom 18.9.2023:
Der Bundesrat und mit ihm das Bundesamt für Gesundheit fordern die Tarifpartner (Physioswiss, ASPI, H+, santésuisse, curafutura) seit Jahren mit Nachdruck dazu auf, die Tarifstruktur für physiotherapeutische Leistungen auf Basis von aktuellen Leistungs- und Kostendaten umfassend zu revidieren. Es ist daher erfreulich, dass nun erste aktuelle Leistungsdaten vorliegen.
Der Bundesrat beschränkt die Anpassungen von Tarifstrukturen im Rahmen seiner subsidiären Kompetenz stets auf den dringendsten Anpassungsbedarf. Im Falle der Tarifstruktur für physiotherapeutische Leistungen ist dies die in den Sitzungspau-schalen fehlende Zeitkomponente. Darüber sind sich auch die Tarifpartner der Physiotherapie einig, namentlich auch Physioswiss. Am Kostenmodell und damit an der aktuellen Abgeltung für physiotherapeutische Leistungen ändert der Bundesrat nichts. Die Anpassung des Kostenmodells und der Berechnungsgrundlagen für die Vergütung von physiotherapeutischen Leistungen an aktuelle Gegebenheiten und somit auf Basis aktueller Leistungs- und Kostendaten ist Bestandteil einer Gesamtrevision, welche in der Verantwortung der Tarifpartner liegt. Der Bundesrat ruft die Tarifpartner auf, dem Bundesrat einen neu verhandelten Tarifvertrag zur Genehmigung einzureichen.
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